IST-Situation
Am 13.11.24 stellte die im Mai 24 gegründete interfraktionelle Arbeitsgruppe der Hansestadt Lüneburg auf einer Veranstaltung der Initiative erstmalig mündlich die zentralen Eckpunkte ihres „Lüneburger Modells“ (Beschlussvorlage VO/11580/24) der Öffentlichkeit und der Initiative vor. Bis zu diesem Zeitpunkt fand weder eine öffentliche Diskussion noch ein Austausch mit der Initiative, die seit Ende 2023 das Thema Erbbau in Lüneburg thematisiert, zu diesem Modell statt. Bereits am 27.6.24 hatte die Initiative die interfraktionelle Arbeitsgruppe eingeladen und ihr eigenes, langfristig sozialverträgliches Lösungsmodell vorgestellt. Eine inhaltliche Diskussion fand bei diesem Treffen nicht statt, da die Arbeitsgruppe sich intern vor dem Treffen mit der Initiative darauf verständigt hatte, nichts zu ihren Lösungsansätzen zu sagen.
Politik und Verwaltung veröffentlichten sofort am Tag nach der Initiativen-Veranstaltung eine Pressemitteilung zu ihrem Modell und strebten nach Veröffentlichung des „Lüneburger Modells“ am 13.11.24 eine unverzügliche Beschlussfassung durch den Rat der Hansestadt innerhalb von zwei Wochen für den 28.11.24 an. Das „Lüneburger Modell“ sollte bis zum geplanten Ratsbeschluss am 28.11.24 lediglich im Finanzausschuss vorbereitet werden, obwohl das Thema „Bezahlbares Wohnen und Erbbau“ inhaltlich dem Ausschuss für Bauen und Stadtentwicklung zuzuordnen ist. Dieses Vorgehen stellt eine sachbezogene, inhaltliche Auseinandersetzung der Lüneburger Politik und Verwaltung im „Lüneburger Modell“ in Frage.
Nur durch massive Proteste der Initiative in Form eines Offenen Briefes, sofortiger Briefe und Mails vieler Betroffener und Interessierter an politische Vertreter:innen und Verwaltung sowie zwei angekündigte Demonstrationen für Do. 21.11.24 (Finanzausschuss) und Do. 28.11.24 (Ratssitzung) konnte dieses intransparente, überhastete und undemokratische Vorgehen von Ratsmitgliedern und Verwaltung der Stadt gestoppt werden. Die interfraktionelle Arbeitsgruppe erklärte sich am Di. 19.11.24 bereit, die Beschlussvorlage aus den Gremien zu nehmen und sich im neuen Jahr mit der Initiative zusammenzusetzen, um inhaltlich über das Lösungsmodell zu diskutieren. Der Termin für dieses Treffen steht derzeit noch aus.
„Lüneburger Modell“ der Hansestadt Lüneburg
Grundlage bilden die der Initiative bisher vorliegenden Informationen (mdl. Kurzdarstellung vom 13.11.24 und Mail von Friedhelm Feldhaus vom 14.11.24 / Beschlussvorlage VO/11580/24 aus dem Allris Ratsinformationssystem der Hansestadt Lüneburg). Eine vollständige Präsentation des Modells von der interfraktionellen Arbeitsgruppe liegt der Initiative bisher nicht vor.
Die Initiative hat sich mit dem „Lüneburger Modell“ der interfraktionellen Arbeitsgruppe auseinandergesetzt und kommt zu der folgenden Einschätzung:
Bezahlbares Wohnen
1. Die wesentlichen Parameter des „Lüneburger Modells“ (Bodenrichtwert, Erbbauzins, Sonderkonditionen) reichen nicht aus, um langfristig eine Sozialverträglichkeit und damit langfristig bezahlbaren Wohnraum durch Erbbau in der Stadt sicherzustellen. Mit der Vergabe von Erbbaurechten haben sich die Erbbaugeber dem Erbbaurecht verpflichtet, bezahlbares Wohneigentum für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen und der Bodenspekulation entgegenzuwirken.
Bodenrichtwert und Erbbauzins
2. Das „Lüneburger Modell“ reformiert die bisherigen, veralteten Erbbau-Konditionen nur marginal. Sowohl die Bodenrichtwerte als Bemessungsgrundlage als auch der Erbbauzins von bisher 4% sind willkürliche Größen, die zu anderen Zeiten unter anderen Rahmenbedingungen festgelegt wurden. Aufgrund zunehmend ausgeprägter Spekulations- und Kapitalinteressen auf dem Immobilienmarkt funktionieren diese Bemessungsgrundlagen nicht mehr. Das „Lüneburger Modell“ wägt z.B. den Zinssatz nicht angemessen ab, obwohl dieser von der Stadt frei festgelegt werden kann.
Bundesweite Entwicklung Erbbauzins
3. Die Tatsache, dass bundesweit der Zins sehr viel stärker sinkt – 2,7% bundesweiter Durchschnitt 2023 mit weiter sinkender Tendenz – und andere Städte mit ähnlichen Voraussetzungen wie Lüneburg bei 1,3% – 2,5% liegen, wird im „Lüneburger Modell“ ignoriert. Der Bodenrichtwert als Bemessungsgrundlage und „Brandbeschleuniger“ für exorbitante Erbbauzinsen bleibt in dem Modell unberührt, obwohl es sich um einen „Richtwert“ handelt, der nirgends verbindlich vorgeschrieben ist – auch nicht in § 125 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG), auf den sich die Stadt zu Unrecht beruft.
Rendite versus Sozialorientierung
4. Das „Lüneburger Modell“ unterliegt weiterhin vorrangig einer rendite- und gewinnorientierten Grundhaltung zum Thema Wohnen, indem aus Bodenspekulation generierte Einnahmen weitestgehend gesichert werden sollen, statt politisch eine langfristig sozial ausgerichtete Grundhaltung für Bezahlbares Wohnen in Lüneburg wie z.B. im Erbbau einzunehmen. Dabei ist es höchste Zeit für eine proaktive, sozial ausgerichtete Wohnpolitik in Lüneburg, um (endlich) weiteren Verdrängungsdynamiken in der Stadt entgegenzuwirken.
Abwälzen langjähriger fiskalischer Probleme
5. Durch die Konditionen des „Lüneburger Modells“ und die pauschale Begründung, die kommunalen Kassen seien leer, werden bereits lange bestehende, strukturelle Finanzprobleme der Stadt einseitig u.a. auf Erbbaurechtsnehmer:innen, die keine Verantwortung für die langwährenden fiskalischen Probleme der Stadt tragen, abgewälzt. Das Modell berücksichtigt vorrangig fiskalische und nur unzureichend soziale Aspekte. Es ist weder „zutiefst solidarisch“ noch „gemeinwohlorientiert“ und orientiert sich in erster Linie am „Individualwohl“ der Erbbaugeber. Diese Begrifflichkeiten werden von den Urhebern des Modells in der öffentlichen Kommunikation unpassend und irreführend eingesetzt.
Nichteinhaltung Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
6. Die im „Lüneburger Modell“ vorgesehenen Konditionen widersprechen nach wie vor dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für öffentlich-rechtliche Körperschaften. Statt durch angemessene, geeignete Maßnahmen und angemessene Konditionen im Erbbau bezahlbaren Wohnraum zu sichern und das Gemeinwohl zu fördern, führen sie zu Ungerechtigkeit, Spaltung und Profitstreben.
Abschreckendes „Bürokratiemonster“
7. Dem „Lüneburger Modell“ fehlt es an inhaltlicher Stringenz und langfristiger Perspektive für eine tiefgreifende, langfristig funktionierende Reform im Erbbau. Mit seinen kleinteiligen, unübersichtlichen und kurz- bis mittelfristigen Konditionen, Sonderregelungen und umfänglichen Nachweispflichten schafft es ein „Bürokratiemonster“, das überreguliert, intransparent und kompliziert ist und sowohl Erbbaurechtsnehmer:innen als auch potenzielle Käufer:innen und Kreditgeber abschreckt. Damit ändert sich kaum etwas an der aktuellen Situation, das Modell würde die Bedingungen im Erbbau ggf. sogar verschlechtern.
Ungerechter Ausschluss von Bevölkerungsgruppen > Klagewelle
8. Das „Lüneburger Modell“ ist mit seinen für die Sonderkonditionen im Erbbau einseitig und selektiv ausgerichteten Zielgruppen Senior:innen und Familien ungerecht und spaltet die Stadtgemeinschaft, da es Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausspielt. Bevölkerungsgruppen wie z.B. einkommensschwache Singles, einkommensschwache, kinderlose Paare oder auch junge, kinderlose Menschen werden von einer Inanspruchnahme der Sonderkonditionen im Erbbau ausgeschlossen. Aufgrund dieser Ungleichbehandlung könnte eine Klagewelle auf die Hansestadt Lüneburg zukommen.
Fehlende Planbarkeit > Gebäudeerhalt > Klimaschutz
9. Das „Lüneburger Modell“ verhindert mit seinen renditeorientierten, zeitlich zu kurz greifenden Konditionen und weiterhin „unberechenbaren“ Bodenrichtwerten eine verlässliche, langfristige Planbarkeit von immer wichtiger werdenden privaten Versorgungs- und Altersabsicherungen, Gebäudeerhaltungs- sowie Klimaschutzmaßnahmen für Erbbaurechtsnehmer:innen. Das Modell verstärkt Dynamiken des „Abwohnens“ von Immobilien statt Bestandserhalt und Klimaanpassung im Erbbaubestand zu fördern und Altersarmut vorzubeugen. Wichtige Klimaschutzziele werden so gefährdet und Verkäufe der Häuser weiter erschwert.
Fazit
Das „Lüneburger Modell“ geht an einer sozial ausgerichteten, langfristig funktionierenden Reform der Erbbaukonditionen weitestgehend vorbei. Es schafft für den Zweck, bezahlbaren Wohnraum im Erbbau zu sichern, ein unzureichendes, intransparentes, unverständliches Gebilde von (unberechenbaren) Konditionen, Bedingungen, Kontroll- und Nachweispflichten und damit ein „Bürokratiemonster“, das für alle Seiten einen maximalen Aufwand generiert und abschreckt – während die aktuelle Situation kaum verändert wird. Statt vom Ende her zu denken und einen konkreten Korridor (z.B. von langfristig 200-350 Euro monatlich) mit der Frage „Wie hoch müssen angemessene monatliche Erbbauzinsen sein, um bezahlbaren Wohnraum langfristig zu sichern und allen Beteiligten Vorteile zu bringen (WIN-WIN für alle)?“ festzulegen und daran die Stellschrauben Bodenrichtwert, Erbbauzins und Sonderkonditionen angemessen auszurichten, verfolgen Politik und Verwaltung mit dem „Lüneburger Modell“ weiterhin eine renditeorientierte Perspektive. Sie nehmen keine konsequent sozial ausgerichtete Haltung zum Thema Bezahlbares Wohnen in einer Stadt ein, die bereits seit langem hochgradig Verdrängungsprozessen (Gentrifizierung) ausgesetzt ist – man muss es sich inzwischen leisten können, in Lüneburg zu wohnen. Zu einer langfristig sozial ausgerichteten Wohnpolitik wird sich auch mit diesem Modell nicht durchgerungen.
Das „Lüneburger Modell“ wirft sehr viele Fragen auf, die beantwortet werden müssen, um realistisch und überschaubar einschätzen zu können, was unter dem Strich am Ende der Rechnung tatsächlich langfristig als monatliche Erbbauzinsbelastung herauskommt. Beispielhaft sind hier einige Fragen aufgeführt.
Fragenkatalog
1. Warum stellt das „Lüneburger Modell“ den Bodenrichtwert als Bemessungsgrundlage nicht in Frage, obwohl der Immobilienmarkt sich besonders in den letzten 12 Jahren um ein Vielfaches von der allgemeinen Preisentwicklung abgekoppelt hat („Beton-Gold“) und die Bodenrichtwerte zukünftig weiter steigen werden? (vgl. Prognose Gutachterausschuss Lüneburg/ LZ Frühjahr 2024).
2. Das „Lüneburger Modell“ sieht vor, den Erbbauzins von 4% auf 3,5% zu senken, obwohl andere Städte mit ähnlichen Voraussetzungen den Erbbauzins bereits auf 1,3 – 2,5% gesenkt haben und zusätzlich Sozialkonditionen vorsehen.
2a. Wie wurde der willkürliche Erbbauzins von 3,5% hergeleitet, was wurde abgewogen? Warum setzt die Hansestadt Lüneburg sich über andere Städte mit ähnlicher Problematik als Beispiele guter Praxis hinweg?
2b. Warum wird z.B. mehr als der Liegenschaftszins verlangt, der in der Immobilienwirtschaft den Standard für die Bemessung angemessener langfristiger Rendite auf Grundstückswerte darstellt? (vgl. § 27 Abs. 2 Immobilienwertermittlungsverordnung)
3. Warum werden Erbbaurechtsnehmer:innen ohne Familie bei gleichen Einkommensverhältnissen von den Sonderkonditionen ausgeschlossen?
4. Warum werden Familien mit Kindern und Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen bzgl. der Sonderkonditionen ungleich behandelt?
5. Welchen Maßstab wird die Hansestadt Lüneburg bei Erbengemeinschaften anlegen, wenn diese unterschiedliche Voraussetzungen haben wie z.B. Senior und Arbeitnehmer:in oder Student und Arbeitnehmer:in oder wenn die Erbengemeinschaft aus zwei Familien mit und ohne Kinder besteht?
6. Wie stellt die Hansestadt für verkaufswillige Erben ohne langwierige Klärungsprozesse sicher, dass bei unterschiedlichen Alters- und Familien-Situationen der richtige Erbbauzins angewandt wird?
7. Wer gilt als „Senior“ bei den Sonderkonditionen, welche Kriterien liegen der Bewertung zugrunde?
8. Wie wird zusätzlicher Wohnraum definiert?
9. Welche Kriterien gelten für Abschläge im Senkungsgebiet, welche Nachweise müssen geführt werden? Wird z.B. das Senkungsgebiet Sonninstr. gleichgesetzt mit dem Senkungsgebiet im Ochtmisser Kirchsteig?
10. Welche Kriterien gelten für Lärmbelastungen, welche Nachweise müssen geführt werden? Wer setzt die Maßstäbe fest für eine Lärmbelästigung und wer überprüft diese? Für welche Straßenzüge und Stadtgebiete gelten Lärmbelästigungen?
11. Wie hoch wird – vom Ende her in konkreten Geldbeträgen gedacht – der Korridor angemessener Erbbauzinsen als monatlicher Betrag für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen eingeschätzt?
12. Inwiefern wurde beim „Lüneburger Modell“ das Verhältnis und der Unterschied von Grundstückskauf und Erbbau (Miete) bei den Konditionen berücksichtigt?
13. Inwieweit wurde ein „angemessener“ Zinsertrag gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im „Lüneburger Modell“ gegenüber der Sicherung bezahlbaren Wohnraumes im Erbbau abgewogen?
Lüneburg, 8.12.2024
Matthias Fricke, Andreas Kellner und Annegret Kühne
Initiative Bezahlbarer Wohnraum im Erbbau Lüneburg
Verband Wohneigentum Niedersachsen e.V. als Kooperationspartner